Gemeindechronik


Aus der Geschichte Sellrains
 
Bereits während der älteren Mittelsteinzeit durchstreiften Jäger den zentralen Alpenraum, wobei sie bei ihren ausgedehnten Streifzügen vor fast 10.000 Jahren auch den eisfreien „Ullafelsen“ (Riegelschrofen) im hinteren Fotschertal in 1869 Meter Seehöhe erreichten. Das Gebiet der heutigen Gemeinde Sellrain ist schon in vordeutscher Zeit von breonischen und romanischen Siedlern aus dem mittleren Inntal zur Weidenutzung aufgesucht worden, wie etwa der Almname Furgges (von „furca“ = „Gabel“) in der Bedeutung von „Bergeinschnitt“ oder „Gebirgsübergang“ beweist.
 
Die ständige Besiedlung erfolgte durch den grundherrlich gelenkten hoch- und spätmittelalterlichen Landesausbau, der in Sellrain/Gericht Axams besonders vom Stift Frauenchiemsee vorangetrieben wurde. Die weit verstreute Einzelhofsiedlung mit Vasche (Fotsch = Bircheben), Düreke (Duregg) und Perval (Perfall) wird urkundlich erstmals 1254 genannt. Zum ersten Mal erscheint 1289 der Gemeinde- und Talnamen Sellrain („Saelrain“) in einer Rechnungslegung des Kämmerers Konrad von Friedberg an den Tiroler Landesfürsten.Im Laufe des 13./14. Jahrhunderts kam es zur Anlage zahlreicher Schwaighöfe, einer auf Viehhaltung spezialisierten Wirtschaftsform, wobei der Grundherr für die Ausstattung des Hofes mit Vieh, Getreide und Salz zu sorgen hatte. Dafür mussten die Sellrainer Bauleute dem Kloster Frauenchiemsee jährlich 300 Stück Käse, 3 Hühner und 2 Schweineschultern zinsen.
 
Ein vollständiges Bild über die im 13. und 14. Jahrhundert gegründeten Hofstellen geben das Steuerbuch des Inntales von 1312, die beiden Urbare des Stiftes Frauenchiemsee von 1374/1410 sowie die Zinsregister der Propstei Ambras von 1463–68: 2 Höfe in der Ellmau, 1 Hof auf Bircheben, 1 Hof am Kniepiß, 6 Höfe im Innerzehent, 1 Hof in Perfall, 4 Höfe in St. Quirin (mit Haslach und Gmoade), 8 Höfe auf der Gasse, 1 Hof in der Egge, 1 Hof in der Grube und 3 Höfe in Tanneben dürften dem Grundstock der ältesten Dauersiedlung ausmachen.
 
Aus diesen ursprünglich 28 Siedlungskernen entwickelten sich bis 1654 durch die frühneuzeitliche Realteilung 60 Bauerngüter, deren Zahl bis 1779 bzw. 1856 auf 71 anstieg. Dazu kamen noch die auf Initiative der Waldaufstiftung Hall, der St. Quirinskirche und des Hofbauschreiberamtes Innsbruck angelegten Söllhäuser der Handwerker, die zunächst keinen Anteil an der Holz- und Weidenutzung hatten. Gab es 1530 in Sellrain erst 8 Selden, so verdoppelte sich ihre Zahl bis 1654 auf 16. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts lassen sich bereits 29 Söllgüter nachweisen. Im Zuge der Theresianischen Kulturlandgewinnung entstanden entlang der Melach weitere 10 Häuslerstellen. 1856 beträgt das Verhältnis zwischen den Söllhäusern und Bauernbehausungen 42: 61, also 2 : 3. Die im Hochmittelalter errichteten Ausbauhöfe Kniepiß und Pruderau sind zum Teil noch im Spätmittelalter, zum Teil während des 16. und 17. Jahrhunderts zu Bergmähdern und Wiesen abgesunken.
 
Die früheste Nennung des Ortsteiles Rothenbrunn datiert aus dem Jahr 1460. Auch der Name des Baders „Hans Popp derzeit Pader in dem Sellrain“ wird in diesem Zusammenhang angeführt. Unter Kaiser Maximilian wurden Hirsche aus dem Revier Fotschertal (mit Bremstall, Furgges und Schmalzgrube) bis zum Sellrainer Wildbad gehetzt. Im Zeitalter von Erzherzog Ferdinand II. (1565–95) suchten häufig Fürstlichkeiten die eisenhaltige Heilquelle auf. 1662 verlieh Graf Johann Karl Fieger an die Ehe- und Wirtsleute Fagschlunger das „Wildpad genannt der Rottenprunnen im Sellrain“ samt dem Gasthaus. Die Badwirtin Maria Span versprach in den 1817 im Tiroler Boten gedruckten Inseraten dem „verehrtesten Publikum“ gute Bedienung, vorzügliche Reinlichkeit und billige Preise. 1854 hielten sich noch 30 Frauen, vor allem aus dem niederen Innsbrucker Bürgerstand, und sieben Männer als Kurgäste auf. Im Jahr 1858 wird über das Heilbad Folgendes berichtet: „Mädchen und Frauen, das schöne Geschlecht ist besonders stark vertreten in Rothenbrunn.“ In einem 1868 erschienenen Reisehandbuch steht kurz und bündig: „Bad Sellrain; in dem einfachen Gasthause guter Wein und köstliche Forellen; daneben ein primitives Eisenbad.“
 
Bis nach dem Zweiten Weltkrieg war Sellrain die „Waschküche Innsbrucks“. Von 60 Haushalten, die sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert durch die Stadtwäscherei einen wichtigen Zusatzverdienst sicherten, gaben bis 1966 nicht weniger als 53 das Wäschewaschen auf. 1973 ist dieser Nebenerwerb ausgestorben.
 
Die erste Erwähnung der St. Quirinskirche findet sich in einem Ablassbrief vom 26. Juli 1391, welchen der Brixner Fürstbischof Friedrich von Erdingen für die Pfarrkirche Axams und den dazugehörigen Filialen gegeben hat. Die Vermögenslage von Sankt Krein war aufgrund von Schenkungen so gut, dass es aus den Einnahmen und Spenden im 17. Jahrhundert eine St. Anna-Kapelle in Rothenbrunn erbaut werden konnte, die 1648 eingeweiht wurde. In den Jahren 1701–1705 entstand die heutige Pfarrkirche. Der Bau hatte insgesamt 2.870 Gulden gekostet. In der Roten Kapelle hängen mehrere Votivtafeln aus der Zeit um 1830, die eine Vorstellung jener Kleidung geben, welche damals an Feier- und Werktagen von den Sellrainer Frauen und Männern getragen wurde.
 
Zu den drei bekanntesten Söhnen unserer Heimatgemeinde gehören der Maler Hans Kapferer (1820–1864), der Komponist Alfons Schlögl (1885–1926) und der Agrarwissenschaftler Peter Jordan (1751–1827), Professor für allgemeine und spezielle Naturgeschichte an der Universität Wien, wo er das höhere landwirtschaftliche Studium begründete. 
 
                                                                                                         Verfasser: Mag. Dr. Georg Jäger